Aus der Isolation befreit
eikesmom, Montag, 14. August 2006, 23:48
Heute morgen kurz vorm Aufwachen träumte ich eine neue Erkenntnis. Man sollte sich so etwas gleich aufschreiben, damit man es nie wieder vergisst. Okay, so halbwegs bekomme ich es noch zusammen, aber so klar wie heute morgen ist es leider nicht mehr. Wird also Zeit, es aufzuschreiben!
Ich erinnere mich an die Zeit so um mein 6. Lebensjahr, da habe ich mich gedanklich mit Dingen beschäftigt, die meine Eltern für 6jährige eben nicht altersgemäß erachteten. Es war nichts Schlimmes, ich machte mir nur Gedanken über das, was ich so nebenbei aus den Nachrichten aufschnappte. In diesem Zusammenhang hatte ich (nicht nur) eine Frage an meine Eltern. Aber da die ja nicht altersgemäß waren, hieß es lediglich: Du wirst es wissen, wenn Du alt genug dafür bist.
Meinen Einwand, dass ich ja, um dieses Wissen zu erlangen, die Frage(n) beantwortet haben müsste, ließen sie nicht gelten. Ich war frustriert. Ich wollte etwas wissen, aber man gab mir keine Antwort. Ich begriff plötzlich, dass ich letztendlich, wenn es hart auf hart kommt, auf mich allein gestellt sein würde. Um Wissen zu erlangen, muss man fragen. Aber andere Menschen zu fragen, hilft nicht viel. Ich begriff mich plötzlich als Individuum unabhängig von meinen Eltern.
Aber es war zu früh. Ich fand mich isoliert. Die Orientierung, die ich suchte, wurde mir nicht gewährt. Dieses Muster zog sich durch mein Leben. Eindrücke, Reize von außen irritierten mich eher, als dass sie mir eine Orientierung gaben, so dass ich mich lieber freiwillig in die Isolation begab. So war ich eben mit meinen Gedanken bei mir. Ich fand mich damit ab, dass niemand sich für diese Gedanken interessierte. Zu oft machte ich negative Erfahrungen, wenn etwas davon nach außen drang.
Die Erkenntnis, die ich heute morgen träumte, brachte dies in Zusammenhang mit dem Krebs. Auch die Krebszellen sind gewissermaßen isoliert. Sie koppeln sich ab von ihrer Umgebung und erfüllen irgendwann nicht mehr die Funktion, die sie eigentlich hatten. Sie machen nur noch ihr Ding, Energie ziehen sie aus Gärungsprozessen, so dass sie unabhängig von der Versorgung mit Blutsauerstoff sind.
Genauso wie ein Mensch die Isolation nicht ewig ertragen kann, kann es auch keine Zelle. Es musste zum Ausbruch der Krankheit kommen.
Nun befreie ich mich aus der Isolation. Ich gehe das Risiko ein, wie früher so oft, zurückgestoßen zu werden, aber im Unterschied zu damals weiß ich, dass das Netz, das mich umgibt, tragfähig ist. Ein Netz, dass aus Beziehungen zu Menschen geknüpft ist, die ich sehr gern habe, und die mich sehr gern haben, aber auch zu Menschen, die ich persönlich (noch) nicht kennenlernen konnte, die aber hier immer wieder in meinem Blog lesen. Ich spüre das Interesse, und dann habe ich keine Angst mehr.
Das Nach-Draußen-Gehen ist immer mit Risiko verbunden. Risiko der Zurückweisung, des Unverständnisses und andere Risiken. Allerdings ermöglicht erst das auch den positiven Aspekt von Kontakt. Mit dem Leben in Kontakt sein bedeutet auch, sich auf Risiken einzulassen. Und oft sind die Dinge, die uns schwer fallen, umso wertvoller für uns.
Und jetzt mal ohne Sülze: Hallo, ich lese noch! Kein Grund sich zu fürchten ;-)
Gut, dass Sie die Sülze noch beiseite schoben; Sie klangen schon wie Franz Beckenbauer …
kerstin13
15.08.2006 23:55
Bei Krankheiten suche ich auch immer nach der Ursache, nach möglichen Wahrheiten und Erklärungen. Ich weiss nicht, ob es für alle eine Antwort gibt. Immer wieder werde ich mit meiner Machtlosigkeit konfrontiert, nicht auf alles einen Einfluss haben zu können. Warum sterben kleine Kinder an Krankheiten? Schlechte Gene?
Jeder kann krank werden. Jeden kann das Schicksal treffen. Und es ist wichtig, das Beste draus zu machen. Das gelingt mir mehr oder weniger gut. Dieses Wissen um die Ungerechtigkeit des Lebens finde ich manchmal grausam. Aber es lässt mich mein Leben auch mehr geniessen.
Nein, nicht für alle gibt es eine Antwort - aber dennoch werde ich immer nach einer Antwort suchen (ich stelle gerade fest, dass dies meinem Wesen entspricht, das Suchen nach Antworten).
Auch ich finde das Leben manchmal grausam und ungerecht, gerade wenn es um kleine Kinder geht - ich kenne einen Fall eines Neugeborenen, der nur 6 Wochen alt wurde, gestorben an einer Krebserkrankung, die er schon im Mutterleib hatte. Warum? Darauf finde ich keine Antwort, und dies finde ich viel schrecklicher als meine eigene Krankheit.
Für mich kann ich positiv in die Zukunft blicken, und gerade weil ich an Krebs erkrankt war, hatte ich Gelegenheit, über mein Leben nachzudenken. Eine Krise birgt auch immer die Chance auf Weiterentwicklung. Ich konnte und kann meiner Krankheit somit auch Positives abgewinnen.
schluesselkind
16.08.2006 00:09
Das Traurige ist, dass es vielen Menschen ähnlich geht. Fast jeder - oder sogar jeder? - schaut nur vorsichtig aus seinem kleinen Schneckenhaus heraus und beim kleinsten Antippen neigen wir dazu, uns ganz hinten an die Wand zu flüchten. Die Flucht- und Vernebelungsstrategien sind nur ganz unterschiedlich. Bei mir hat es auch sehr lange gedauert, bis mir eine ganz simple Mathematik in den Sinn kam: Zehn Mal probieren - sieben Mal scheitern = immer noch drei Mal Erfolg. Gar nicht probieren gibt kein Scheitern, aber auch kein Glückserlebnis. Simpel, aber jeder strickt sich so seine kleinen Hilfsmittel. Und irgendwann lernt man dann, dass man eigentlich öfter gewinnt als verliert.
Das finde ich sehr tröstlich und gut auf den Punkt gebracht.
Für simple Mathematik ...
... habe ich ja auch sehr viel übrig! Anhand Ihres Beispiels, liebe Frau Schlüsselkind, kann man übrigens auch sehr gut erkennen, wie sehr die eigene Einstellung die Wahrnehmung färbt (vgl. mein Statement oben rechts). Ein Pessimist würde sagen, siebenmal scheitern ist mehr als dreimal Erfolg (7 > 3). Ein Optimist sieht das aber so: dreimal Erfolg ist besser als gar kein Glückserlebnis (3 > 0).
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