Krankheit als Sprache der Seele
Ich lese gerade das Buch mit oben genanntem Titel von Ruediger Dahlke. Da schreibt er sehr ausführlich über Krebs im allgemeinen, aber auch Brustkrebs im besonderen. Das Thema Krebs kam in seinem anderen Buch "Krankheit als Weg" doch sehr zu kurz. Ich hab es schlicht nicht verstanden.
In "Krankheit als Sprache der Seele" habe ich nun tausend Aha-Erlebnisse. Da heißt es zum Beispiel, dass Krebspatienten häufig in den ca. 10 Jahren vor der Erkrankung ein unauffälliges angepasstes Leben geführt haben. Das kann ich bestätigen. Er benutzt den Begriff "Normopath", der auf äußere Reize stets so reagiert, dass er möglichst nicht auffällt, nirgendwo aneckt. Damit dies geschieht, werden eigene Bedürfnisse unterdrückt. Das "Über die Stränge schlagen" wird unterdrückt, bis es nicht mehr geht. Denn irgendwann tut es der Körper selbst. Die Zellen "haben die Nase voll" und schlagen nun über die Stränge, wachsen ohne Rücksicht auf Verluste, werden autark, in dem sie vom normalen Stoffwechsel mit Sauerstoff auf Gärung umschalten.
Und weiter heißt es da (das war eh schon die Theorie, die ich vertreten habe), dass das Immunsystem im Normalfall solche Zellen erfolgreich bekämpft. Aber nach jahrelanger Unterdrückung wird in einer Phase, in der das Immunsystem geschwächt ist, der Krebs stärker. In den zwei Jahren vor der Diagnose habe ich massiv mit Atemwegsinfekten zu tun gehabt. Ich war in den Wintermonaten teilweise wochenlang krankgeschrieben. Mein Immunsystem war geschwächt, weil ich im wahrsten Sinne des Wortes "die Nase voll hatte" von allem. Meine berufliche Entwicklung stagnierte, der Firma ging es schlecht, die Gehälter wurden nicht gezahlt. Der Spagat zwischen Familie und Beruf belastete mich. Ich wollte alles, hatte aber das Gefühl, keinem wirklich gerecht zu werden.
Jetzt erst begreife ich, dass es gar nicht darauf ankommt, irgendwem gerecht zu werden, sondern darauf, Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen, was heißt, mir selbst gerecht zu werden.
Wenn ich dann so zurückdenke, wann das eigentlich angefangen hat, dann geht das bis in meine Kindheit zurück. Es war erschreckend für mich, das zu realisieren, aber dann dachte ich, gut, dass ich es jetzt realisiert habe.
Die Menschen in meiner Umgebung haben die Veränderung bemerkt, die ich durchgemacht habe. Es ist, als würde ich jetzt "mehr auffallen" - und das kann man nicht nur dadurch erklären, dass ich mit einem extrem kurzen Haarputz rumlaufe. Sie sagen solche Dinge wie:
Wow, hat die Frau eine Ausstrahlung! während ich früher eben nie aufgefallen war. An mich konnte man sich nie erinnern. Ich war immer unbedeutend.
Vor ca. 17 Jahren war ich mit meinem damaligen Freund und dessen Freund im Urlaub. Jemand, den wir da kennenlernten, fragte mich, warum ich denn nicht allein mit meinem Freund in den Urlaub fahre. Und ich gab zur Antwort:
Weil es ihm mit mir allein zu langweilig wäre.
Aber das war das Einzige und Ehrlichste, was ich dazu sagen konnte.

Es ist, als hätte ich das Ganze nun abgeschüttelt. Es hat viele Jahre gedauert, und ich musste erst Krebs bekommen, um wirklich zu begreifen, worauf es ankommt. Mit ein wenig Trauer denke ich an all die verschenkten Jahre zurück, in denen mein Selbstwertgefühl gering bis gar nicht vorhanden war. Wenn ich Fotos von mir von damals sehe, denke ich ganz anders über mich als ich es damals tat. Jetzt denke ich, wie herrlich jung ich damals war,
ich finde mich hübscher als ich damals empfunden hatte. Heute sieht man mir inzwischen die Jahre an, aber es macht mir nichts mehr aus, weil es eben zu mir gehört, und wem das nicht passt, der soll halt woanders hingucken.
Seltsamerweise bekam mein Selbstwertgefühl schon vor Monaten, nach der Diagnose Krebs einen Schub. Vielleicht hat die Diagnose mich endlich aufgeweckt und mir klar gemacht, wie wertvoll mein Leben ist, indem sie mir vor Augen führte, wie schnell es auch zuende gehen kann.
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