Trau keiner Statistik ...
eikesmom, Mittwoch, 7. Juni 2006, 14:46
... die du nicht selbst gefälscht hast.
Da ich ja selbst eine Vorliebe für Statistiken habe, weiß ich gern über die Hintergründe Bescheid. Am Montag ist mir ein interessantes Buch in die Hände gefallen. Es heißt "Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit - Logisches Denken und Zufall" von Hans-Hermann Dubben und Hans-Peter Beck-Bornholdt. Da ist ein interessantes Beispiel über die Lebenserwartung von Krebskranken enthalten. In vielen Statistiken, die veröffentlicht werden, heißt es ja immer, dass die mittlere Lebenserwartung von Krebskranken in den letzten Jahrzehnten gestiegen sei, und man ist versucht zu denken, dies habe mit fortschrittlicheren Behandlungsmethoden zu tun. Beispielsweise können heutzutage schon kleinere Tumoren entdeckt werden, während sie noch vor 20 Jahren in der Größe unter der Nachweisgrenze waren. Dieser Umstand allein bewirkt in der Statistik jedoch schon eine Erhöhung der mittleren Lebenserwartung, obwohl die einzelnen Individuen de facto immer noch dieselbe Lebenserwartung haben wie immer oder sogar eine schlechtere haben! Nicht zu glauben? Doch mit einem ganz einfachen Beispiel kann man das zeigen.
Das Beispiel ist wie folgt: Nehmen wir an, wir haben 7 Patienten. 3 davon haben große Metastasen und daher eine schlechte Prognose mit einer Lebenserwartung von 10 Monaten. 3 andere Patienten haben keine Metastasen und eine gute Prognose und eine Lebenserwartung von 50 Monaten. (Es handelt sich hierbei nur um ein Zahlenbeispiel, ich würde 50 Monate Lebenserwartung nicht als gute Prognose bezeichnen! Das ist hier relativ zu den anderen gemeint). 1 Patient hat kleine Metastasen und eine Lebenserwartung von 30 Monaten. Nehmen wir weiter an, vor 20 Jahren konnte man die kleinen Metastasen noch nicht entdecken. Der Patient wird in die Gruppe "gute Prognose" einsortiert, weil man meint, er habe keine Metastasen. Die 3 Patienten ohne Metastasen ebenfalls. Die 3 Patienten mit großen Metastasen werden in die Gruppe "schlechte Prognose" einsortiert. Nachdem alle gestorben waren (nehmen wir an, nach genau ihrer Lebenserwartung), erhält man für die Gruppe "schlechte Prognose" eine mittlere Lebenserwartung von
3*10/3 Monate = 10 Monaten.
Die Gruppe "gute Prognose" hat eine mittlere Lebenserwartung von
(30 + 3*50)/4 = 45 Monaten.
Nehmen wir an, dieselben Patienten würden heute behandelt, und ihre tatsächliche Lebenserwartung wäre jeweils um 1 Monat gesunken. Die drei mit großen Metastasen hätten also 9 Monate, die drei ohne Metastasen 49 Monate und ein Patient 29 Monate Lebenserwartung. Heute kann man aber die kleinen Metastasen entdecken und sortiert diesen Patienten deshalb in die Gruppe "schlechte Prognose" ein. Rechnen wir wieder die mittlere Lebenserwartung aus:
schlechte Prognose: (29 + 3*9)/4 = 56/4 = 14 Monate
gute Prognose: 3*49/3 = 49 Monate
D.h. beide Gruppen haben in der Statistik eine Erhöhung der mittleren Lebenserwartung um 4 Monate, obwohl sie für den Einzelnen de facto um 1 Monat geringer ist! Soviel also zum Thema Statistik...
Was lerne ich daraus? Ich würde die Einsortierung in die zwei Gruppen nicht vornehmen, solange nicht klar ist, wohin jedes einzelne Individuum wirklich gehört. Bei jeder Messung gibt es eine Nachweisgrenze, das ist immer so und wird immer so sein, die Nachweisgrenze verschiebt sich lediglich mit neueren Diagnosemöglichkeiten. Wenn ich also Statistiken von früher und von heute vergleichen will, muss ich dies berücksichtigen und ggf. so tun, als hätte ich immer noch die Nachweisgrenze von früher.
Ich weiß nicht, wie die tatsächlichen Statistiken aufgrund der Krebsregister-Daten erstellt werden. Und weil ich das nicht weiß, kann ich mit den Ergebnissen wenig anfangen. Ich kann es schlicht nicht beurteilen, was das für mich selbst bedeutet. Das wissen nur diejenigen, die die Statistiken machen - wenn sie es denn wissen - aber das will ich doch mal ganz stark hoffen!