Zeit zum Leben
Was ist Zeit?

Diese Frage beschäftigte mich schon als kleines Kind. Ich erinnere mich daran, dass ich damals als Vierjährige den Film "Die Zeitmaschine" nach H.G. Wells im Fernsehen gesehen habe. Es muss zu der Zeit gewesen sein, weil ich aufgrund des Films Angst vor diesem konisch zulaufenden Betoneinsätzen der runden Gullis hatte, die damals in der Nähe unseres Wohnhauses standen. Sie hatten soviel Ähnlichkeit mit den Eingängen zu den Morlocks in dem Film.

Aber habe ich das Wesen der Zeit verstanden? Damals? Heute? Wenn man drauf wartet, vergeht sie langsam. Und wenn man in etwas vertieft ist, vergeht sie wie im Fluge. Jeden Tag habe ich 86400 Sekunden Zeit zur Verfügung. Was fange ich damit an? Ich gebe zu, dass ich so manche Stunde einfach verdaddele. Aber es gab auch Zeiten in meinem Leben, da hätte ich mir eine Zeitmaschine gewünscht, mit der es mir möglich gewesen wäre, den Tag nochmal zu erleben und etwas anderes damit anzufangen. Ich habe gearbeitet, einen Haushalt geführt, und ein kleines Kind versorgt, und manchmal blieb das eine oder andere liegen, weil ich es einfach zeitlich nicht schaffte. Und weil das so war, gab es Frust. Ich fühlte mich unzulänglich. Denn im Grunde war es immer so, dass ich nie bei der Sache war, die ich gerade tat, sondern gedanklich schon bei dem nächsten Punkt auf der Tagesordnung.

Das Glück liegt im Augenblick. Im Jetzt. Wenn ich ganz im Jetzt bin, und nicht über die Vergangenheit nachgrübele und nicht an die Zukunft denke, dann bin ich glücklich. Es kann ein Moment sein, in dem man einen Specht im Garten sieht, der einen Stamm bearbeitet. Es kann das Lächeln eines Kindes sein. Das gemeinsame Spiel mit seinem Kind, und zwar ohne daran zu denken, dass da noch Bügelwäsche wartet. In dem Buch "Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück" findet man viel Nachdenkliches über das Glück zu lesen.

Wenn man Krebs hat, auch wenn ich nie das Gefühl hatte, dass diese Krankheit mein Leben verkürzt, denkt man wieder über die Zeit nach. Zeit zum Leben. Man fragt sich, wie hat man bisher die Zeit verbracht? War es gut so, oder sollte man etwas ändern? Ich denke schon, dass sich in meinem Leben vieles ändern wird. Ich weiß aber noch nicht, in welche Richtung das geht.

Krisen sind Angebote des Lebens, sich zu wandeln. Man braucht noch gar nicht zu wissen, was neu werden soll, man muss nur bereit und zuversichtlich sein.

Dieser Spruch steht auf einer Karte. Im Vordergrund ist eine Steinbrüstung, dahinter eine emporsteigende Treppe auf ein halb offenes schmiedeeisernes Tor. Und dahinter ist der Himmel.
Diese Karte hängt an der Wand neben meinem Bett, und jeden Morgen fällt mein Blick darauf.
in: Brustkrebs
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