Weihnachten 2005
eikesmom, Montag, 26. Dezember 2005, 23:30
An Heilig Abend erwarteten wir Besuch von meinen Schwiegereltern und meiner Schwägerin. Und außerdem sollte ein Weihnachtsmann die Geschenke für unseren Sohn bringen.
Ich begann schon nachmittags um vier mit den Vorbereitungen für das Essen. Ich dachte mir, dann kann ich das in Ruhe zu Ende bringen, es kommt keine Hektik auf, und ich war beschäftigt. Ich war völlig vertieft und vergaß alles um mich herum. Pünktlich, genau in dem Moment, als der Weihnachtsmann ans Fenster klopfte, war ich fertig. Das Essen konnte in den Ofen geschoben werden.
Es gab Unmengen an Geschenken. Mein kleiner Spatz ließ sich Zeit beim Auspacken - in dem Tempo würde er um Mitternacht noch nicht fertig sein! *lach* Die gerade ausgepackten Spielsachen waren ja auch so spannend, dass er erstmal spielen musste.
Ich war froh, nicht mehr so im Mittelpunkt zu stehen. Meine Krankheit war an diesem Abend kein Gesprächsthema, und das war gut so.
So langsam fing ich an, mich mit dem auseinanderzusetzen, was auf mich zukommen sollte. Nachdem ich anderen davon erzählte, bekam ich mit, wieviele betroffene Frauen es gibt. Das hätte ich nicht gedacht! Ungefähr 8 bis 10 Prozent aller Frauen bekommen in ihrem Leben Brustkrebs! Das ist viel, finde ich. Aber die Heilungschancen sind auch sehr gut, wenn es früh erkannt wird. Doch meist erfuhr ich von Freundinnen, dass ihre Mütter betroffen seien. Sie erzählten mir, wie es ihnen ergangen ist, und so langsam wurde ein Weg sichtbar, den ich gehen konnte.
Ich informierte mich im Internet. Für mich ist es wichtig, dass ich genau dann die Antworten bekomme, wenn ich das möchte. Wenn ich einen Termin beim Arzt habe, muss ich meine Fragen zu einem bestimmten Zeitpunkt parat haben. Manchmal brauchen Informationen Zeit, bis sie wirken, manchmal lösen sie bei mir aber auch sofort viele weitere Fragen aus, so dass es sein kann, dass ich mich Stunden mit dem Thema beschäftige. Soviel Zeit hat ein Arzt im allgemeinen nicht. So sitze ich abends stundenlang am PC und lese und lerne. Und je mehr ich wusste, desto sicherer fühlte ich mich.
Der erste Tag nach der Diagnose
eikesmom, Freitag, 23. Dezember 2005, 23:28
Den Alltag meisterte ich mehr oder weniger mechanisch. Ich verdrängte den Gedanken an Krebs, wollte ihn einsperren in eine kleine Kiste und diese dann im hintersten Winkel des Schranks verstecken. Ich wollte einfach mein Leben wieder haben, wie es vorher war. Ich verschloss meine Gefühle sorgsam, doch immer, wenn ich nachdenkliche Liedtexte hörte, wenn ich ein Gedicht las oder irgendetwas anderes, was das Gefühl ansprach, kam es hoch. Mir kamen die Tränen. Vor allem abends vor dem Einschlafen. Mein Mann nahm mich in die Arme und sagte, wir schaffen das schon. Er sagte, er habe mich geheiratet und geschworen, zu mir zu stehen, in guten und in schlechten Zeiten.
Er begleitete mich nun auch zum Röntgen der Lunge. Es ging recht schnell. Wieder war es kurz vor Mittag und damit kurz vor Schließung der Praxis. Ich vermute, sie haben den Termin deshalb nochmal um eine Stunde nach hinten verschoben, damit ich die letzte Patientin bin - für alle Fälle. Kann ja sein, dass sie was finden, und ich dann heulend zusammenbreche. Macht sich nicht gut, wenn das Wartezimmer noch voll ist. Das ist aber nur eine Vermutung meinerseits, es muss nicht den Tatsachen entsprechen.
Jedenfalls zeigte mir der Radiologe die Aufnahme nicht, sondern sagte nur, es sei alles in Ordnung mit der Lunge und "man wird Ihnen helfen können". Die Praxismannschaft stand versammelt da und schaute mich an. Ich wünschte ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und dankte ihnen. Man drückte mir den grünen Umschlag mit der Röntgenaufnahme in die Hand, und schon waren wir wieder draußen.
Auf dem Weg nach Hause dachte ich: wieso zeigte er mir die Aufnahme nicht, bevor er sie in den Umschlag legte? Ist vielleicht doch etwas an meiner Lunge, und sie wollten es mir nicht sagen, so kurz vor Weihnachten? Warum muss so etwas eigentlich zu Weihnachten passieren?
Zuhause packte ich die Aufnahme aus und schaute sie mir an. Ich fand nichts Besorgniserregendes. Ich traute mir durchaus zu, zu erkennen, wenn da etwas ist, was da nicht hingehört. Es war nichts außer einer wunderschönen Nichtraucherlunge, fand ich.
Inzwischen hatte ich Freundinnen von meiner Diagnose erzählt. Es gab Stimmen, die sagten, sie hätten sich nicht getraut, die Ergebnisse so kurz vor Weihnachten zu erfragen. Aber wie sollte ich die Feiertage überstehen mit dieser Ungewissheit? Dann lieber wissen, woran man ist, auch wenn es schlechte Nachrichten sind!
Ergebnis aus der Pathologie
eikesmom, Donnerstag, 22. Dezember 2005, 23:26
In den Tagen nach der Mammografie waren meine Gedanken nun nicht mehr bei beruflichen Belangen. Ich dachte nur noch ständig: was ist, wenn es Krebs ist?
Die Angst um den Arbeitsplatz und die Angst, keine neue Stelle zu finden, war plötzlich zweitrangig. Wichtiger war jetzt - ja, am wichtigsten sollte stets sein - meine Gesundheit. Wenn es denn Krebs sein sollte, muss ich doch mit all meiner Kraft dagegen kämpfen und alles tun, um wieder gesund zu werden. Vielleicht will mir mein Körper sagen, dass er nun auch mal dran ist. Vielleicht wollte er mir sagen, dass sich in meinem Leben einiges im Argen befindet. Dass sich etwas ändern muss. Aber was? War der Stress im Beruf zuviel? Sollte es vielleicht so sein, dass ich gleichzeitig meinen Arbeitsplatz verliere und krank werde, um mir die Augen zu öffnen, dafür, dass sich etwas ändern muss?
Die Wahrscheinlichkeit war nun nicht mehr so gering, dass es sich wirklich um Krebs handelt, und so begleitete mich mein Mann zu meinem Frauenarzt. Wir warteten nur wenige Minuten im Wartezimmer.
"Ich muss Ihnen leider sagen, dass es nicht so gut aussieht", sagte der Arzt vorsichtig. Noch bevor er dies aussprach, sah ich es in seinem Gesicht. Ich schaute ihn mit großen Augen an und konnte nichts sagen. Ich knetete meine Hände und schluckte nur ein paar Male. Er erklärte ein paar Fakten aus dem Brief des Pathologen, aber die Worte schienen durch mich hindurch zu gehen, ohne eine wirkliche Resonanz auszulösen. Ich erinnerte mich später nur noch an ein paar Stichworte wie "Hormonrezeptoren", "Gefäßbeeinträchtigung" oder so. Mein Mann stellte Fragen, und ich war dankbar dafür, dass er bei mir war, dass er ein Gespräch mit dem Arzt führte, während ich so sprachlos war. Nun, nach einer Weile stellte auch ich Fragen. Wie denn jetzt die Vorgehensweise sei. Wir beratschlagten, in welche Klinik ich gehen sollte. Mein Arzt griff zum Telefon und meldete mich im Krankenhaus an. Ich bekam einen Termin im neuen Jahr, am 4. Januar. Und dann sollte ich nochmal zum Radiologen, zum Röntgen der Lunge, weil die das im Krankenhaus brauchen. Später dachte ich, wozu brauchen die das denn? Ich hatte den EIndruck, er wollte nicht direkt deutlich sagen, dass man in der Lunge Metastasen finden könnte, bevor es nicht wirklich feststand. Aber als ich zuhause war, wurde mir schon klar, dass man die Lunge deshalb röntgt.
Ich bekam schon am nächsten Tag den Termin beim Radiologen - einen Tag vor Weihnachten.
Die Mammografie
eikesmom, Montag, 19. Dezember 2005, 23:23
In den letzten Tagen spitzte sich die Lage in der Firma zu. Es wurde Insolvenzantrag gestellt, ich ging zur Agentur für Arbeit und meldete mich arbeitssuchend.
Erst am Tag der Mammografieuntersuchung beschäftigte ich mich gedanklich mit meiner Gesundheit. Ich ging immer noch davon aus, dass der Knoten gutartig sei - aber was ist, wenn nicht? Würde ich damit fertig werden können?
Die Arzthelferin, die bei mir die Mammografie durchführte, fragte mich, ob es in meiner Familie einen Brustkrebsfall gegeben habe. Ich erinnerte mich an meine Oma väterlicherseits, der sie beide Brüste abgenommen hatten. Da war sie allerdings schon 70 Jahre alt. Ich bin nicht mal 40 Jahre... Okay, mir war schon klar, dass das keine Sicherheit bietet, schließlich gibt es auch noch viel jüngere Krebskranke. Ich will damit nur sagen: ich habe es nicht wahrhaben wollen. Warum sollte es gerade mich treffen? Reicht es nicht, dass ich gerade meinen Arbeitsplatz verloren habe?
Als ich nach dem Entwickeln der Röntgenbilder zum Arzt reingerufen wurde, sollte ich mich auf eine Untersuchungsliege legen. Der Radiologe meinte, das gefiele ihm gar nicht. Ob ich mal mit dem Fahrrad gestürzt und auf die Brust gefallen sei, fragte er. Nein, an so etwas könne ich mich nicht erinnern, sagte ich.
Er schlug vor, eine Gewebeprobe zu nehmen. Er könne das gleich sofort machen, dann müsste ich nicht extra ins Krankenhaus. Ich willigte ein. Meine linke Brust wurde örtlich betäubt und eine Hohlnadel an den Knoten herangeführt, es machte "KLACK". Man nennt diese Art der Probenentnahme "Stanzbiopsie". Das wiederholte sich noch zweimal. Ich lag da wie ein Häufchen Elend, und ich dachte: ist es doch bösartig? Wann hört das auf?
Der Arzt zeigte mir ein Röhrchen, das mit Flüssigkeit und einer winzigen Gewebeprobe gefüllt war. Die Probe war dünner als ein Millimeter und vielleicht zwei Zentimeter lang. Ich bekam ein Kühlkissen auf meine Brust und sollte mich erst noch ein wenig ausruhen. Ich bekam ein Glas Wasser zu trinken - mein Mund war total ausgetrocknet. Die Gewebeproben wurden an ein Labor geschickt, und wenige Tage später sollte mein Frauenarzt dann die Ergebnisse haben.
Als ich die Praxis verließ, fühlte ich mich noch nicht in der Lage, Auto zu fahren. Ich war ja allein gekommen. Ich ging also in ein nahegelegenes Einkaufszentrum, trank eine heiße Schokolade und machte ein paar Weihnachtseinkäufe. Als das Zittern in meinem Körper nachließ, ging ich wieder zurück zum Auto und fuhr heim.