Der erste Tag nach der Diagnose
Den Alltag meisterte ich mehr oder weniger mechanisch. Ich verdrängte den Gedanken an Krebs, wollte ihn einsperren in eine kleine Kiste und diese dann im hintersten Winkel des Schranks verstecken. Ich wollte einfach mein Leben wieder haben, wie es vorher war. Ich verschloss meine Gefühle sorgsam, doch immer, wenn ich nachdenkliche Liedtexte hörte, wenn ich ein Gedicht las oder irgendetwas anderes, was das Gefühl ansprach, kam es hoch. Mir kamen die Tränen. Vor allem abends vor dem Einschlafen. Mein Mann nahm mich in die Arme und sagte, wir schaffen das schon. Er sagte, er habe mich geheiratet und geschworen, zu mir zu stehen, in guten und in schlechten Zeiten.

Er begleitete mich nun auch zum Röntgen der Lunge. Es ging recht schnell. Wieder war es kurz vor Mittag und damit kurz vor Schließung der Praxis. Ich vermute, sie haben den Termin deshalb nochmal um eine Stunde nach hinten verschoben, damit ich die letzte Patientin bin - für alle Fälle. Kann ja sein, dass sie was finden, und ich dann heulend zusammenbreche. Macht sich nicht gut, wenn das Wartezimmer noch voll ist. Das ist aber nur eine Vermutung meinerseits, es muss nicht den Tatsachen entsprechen.

Jedenfalls zeigte mir der Radiologe die Aufnahme nicht, sondern sagte nur, es sei alles in Ordnung mit der Lunge und "man wird Ihnen helfen können". Die Praxismannschaft stand versammelt da und schaute mich an. Ich wünschte ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und dankte ihnen. Man drückte mir den grünen Umschlag mit der Röntgenaufnahme in die Hand, und schon waren wir wieder draußen.

Auf dem Weg nach Hause dachte ich: wieso zeigte er mir die Aufnahme nicht, bevor er sie in den Umschlag legte? Ist vielleicht doch etwas an meiner Lunge, und sie wollten es mir nicht sagen, so kurz vor Weihnachten? Warum muss so etwas eigentlich zu Weihnachten passieren?
Zuhause packte ich die Aufnahme aus und schaute sie mir an. Ich fand nichts Besorgniserregendes. Ich traute mir durchaus zu, zu erkennen, wenn da etwas ist, was da nicht hingehört. Es war nichts außer einer wunderschönen Nichtraucherlunge, fand ich.

Inzwischen hatte ich Freundinnen von meiner Diagnose erzählt. Es gab Stimmen, die sagten, sie hätten sich nicht getraut, die Ergebnisse so kurz vor Weihnachten zu erfragen. Aber wie sollte ich die Feiertage überstehen mit dieser Ungewissheit? Dann lieber wissen, woran man ist, auch wenn es schlechte Nachrichten sind!
in: Brustkrebs
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