Zweifel
Gestern war recht ereignisreich. Ich bekam eine E-Mail von einer Firma, für die ich mal eine Anwendung programmiert habe, und nun fragen sie, ob ich Support leisten möchte. Ich war ziemlich geplättet. Einerseits freute ich mich darüber, weil sie offensichtlich meine Arbeit doch wertschätzen. Aber ich kann diesen Support nicht leisten. Mein Arbeitgeber existiert nicht mehr, und ich habe anderes zu tun, ich muss erst wieder gesund werden!

Am Nachmittag hatte ich einen Vorgesprächstermin in einem anderen Krankenhaus, wo ich die Strahlentherapie machen will. Als wir schon fast da waren, fiel mir ein, dass wir die Röntgenbilder zuhause vergessen hatten. Mannomann, das war echt chaotisch. Wir kamen dann eine Minute vor dem Termin noch pünktlich an. Dort im Krankenhaus war man aber auch nicht soooo organisiert, jedenfalls fand mein Mann das.
Eine Ärztin erklärte uns, was bei der Strahlentherapie passiert. Es wird die ganze Brust bestrahlt, aber so, dass möglichst das Herz nichts abbekommt und möglichst wenig von der Lunge. Die Strahlen sind ultraharte Röntgenstrahlen. Bestrahlt wird 2 Minuten lang, und das jeden Werktag, etwa 28-33 mal. Erst wollten sie dann schon gleich das Planungs-CT machen, aber dann holte man uns da wieder weg, weil die Strahlentherapie ja erst im Juni anfangen kann. Ich soll nun vor der letzten Chemo einen Termin für das Planungs-CT (Computer-Tomographie) vereinbaren.
Die Ärztin war sehr nett. Aber sie sagte etwas, was in mir leise Zweifel säte, ob das, was ich tue, so richtig ist. Im Gespräch mit einem anderen Arzt sagte letzterer, es sei manchmal schon verrückt, dass manche Frauen, die jung und an sich gesund sind, zur Chemotherapie geschickt werden, nur um 4% mehr Überlebenswahrscheinlichkeit laut Statistik rauszuholen. Wenn man das so sieht, wäre eine Chemo für mich Quatsch. Aber ich hatte ja einen anderen Gedanken: Wenn ich in einigen Jahren wieder Krebs haben sollte und ich keine Chemo gemacht hätte, würde ich mir ewig Vorwürfe machen. Und daher mache ich sie.
Ich sagte, die Begründung, 4% mehr Überlebenswahrscheinlichkeit zu haben, würde für mich auch nicht ausreichen. Statistiken sind schön und gut, sagen für den individuellen Menschen aber nur Wahrscheinlichkeiten aus. Es gibt keine Garantie dafür, dass man dem Durchschnitt entspricht. Jeder Einzelne kann völlig aus der Art schlagen, ohne dass die Statistik für die Gesamtheit ihren Wert verliert. Aber für den Betroffenen hat sie dann keinen Wert.

Heute morgen fühlte ich mich dermaßen schlecht, dass meine Schwiegermutter kommen musste, um Eike in den Kindergarten zu bringen. Ich vermute, dass mir die Thymus-Mistel-Spritzen fehlten. Wir hatten Mittwoch ausgesetzt, weil es eventuell auch einmal pro Woche reicht. Aber nun meine ich, zweimal pro Woche ist doch besser. Morgen gibt es wieder Spritzen. Und dann wieder Mittwoch.

Heute mittag hat mir mein Mann die noch verbliebenen Haare kurz geschnitten. Mit den dünnen Haaren konnte ich mich eh nicht mehr unter Leute wagen. Und so passt wenigstens schon mal die Perücke drüber. Aber als wir heute in der Stadt waren, habe ich lieber die Mütze aufgesetzt, ist doch noch etwas kalt draußen!
in: Brustkrebs
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